– Und wo der Mann? |
Bei den Nationalratswahlen am 20. Oktober haben wir‘s den Männern so richtig gezeigt, wer jetzt in Bern die Hosen an hat – oder auch den Rock, den Mini, die Leggins, den Overall ... egal: Hauptsache die Bekleidung wird von Frauen im Nationalratssaal getragen. Und das wird sie nun: Erstmals in der Geschichte besetzen mehr Frauen als Männer aus dem Kanton Aargau die zur Verfügung stehenden Plätze im ehrwürdig-majestätischen Segantini-Saal und werden in den kommenden vier Jahren die Geschicke der Schweiz mit ihren Vorstössen, Referenden und Stimmabgaben massgeblich prägen.
Das weibliche Hochgefühl – eine Stimmung, die im Juni durch den medial breit abgestützten Frauenstreiktag angefacht, auf die Wahlen hin zusehends getriggert und Ende Oktober triumphal gefeiert wurde –, bekam eine mensuale Phase später (ja, lassen Sie mich sagen: eine Menstruation später) einen schmerzhaften Dämpfer verpasst.
Wo stehen wir denn nun, wir Frauen? – Generell jetzt, meine ich. Nach all den Jahren und Jahrzehnten der feministischen Bemühungen und Anstrengungen. Nach all den Anfeindungen, teilweise gar Misshandlungen, die insbesondere die Pionierinnen der weiblichen Gleichberechtigung über sich ergehen lassen mussten und immer noch müssen. Nach all den Diskussionen über Frauenquoten. Nach den vielen Initiativen und Fördermassnahmen zugunsten von Frauen. Nach den Vorwürfen bezüglich mangelnder Frauensolidarität. Nach all den Aufrufen, dass die Wirtschaft die Frauen braucht und dass gendermässig ausgewogene Management-Boards erfolgreicher geschäften als einseitig besetzte.
Die Statistiken zeigen deutliche Fortschritte auf. Die Lohndifferenz ist, wenn auch (noch) nicht eliminiert, so doch drastisch reduziert worden. Teilzeitarbeit wird nicht nur von Frauen willkommen geheissen, sondern auch Männer streben vermehrt nach Work-Life-Balance und wünschen sich reduzierte Pensen, um Familienpflichten (und -freuden!) übernehmen zu können.
Wir Frauen haben viel erreicht. Wir dürfen also durchaus ein Hochgefühl empfinden, dieses geniessen – und auch zeigen und ausleben!
Doch eins sollten wir meines Erachtens nicht: Uns in einer reinen Kampfposition den Männern gegenüber sehen, in der es nur ums Gewinnen oder Verlieren der einen oder anderen Truppe geht. Das physikalische Gesetz, wonach Druck einen Gegendruck erzeugt, zeigt seine Wirkung längst auch in der Gender-Debatte. Je „eigen-sinniger“ für die Stärkung der Frau gefochten wird, desto eher entstehen Tendenzen, die vermehrt wieder eine Distanz zwischen Männern und Frauen schaffen, ja sogar Brüche begünstigen.
Ich denke hier im gemässigteren Fall an Debatten, die in letzter Zeit immer häufiger geführt werden, von Männern und über Männer, in denen die «Diskriminierung des Mannes» thematisiert wird. Oftmals sind diese Diskussionen ein Ausdruck der Unsicherheit vieler Männer in einer Phase des Umbruchs, in der sie nicht mehr auf die Normen des früher gültigen, aber heute nicht mehr akzeptierten Patriarchats zurückgreifen können. Um eine eigentliche Diskriminierung dürfte es sich in den wenigsten Fällen handeln. Ernst nehmen muss frau solche Aussagen aber allemal.
Um einiges ungemütlicher wird es, wenn wir die Bewegung der sogenannten «Incels» beobachten, in der frustrierte Männer die untersten Schubladen der Frauenverachtung wieder öffnen – die wir in unseren Breitengraden doch längst versiegelt glaubten (oder es zumindest so gehofft hatten). Auch davor dürfen wir die Augen nicht verschliessen. Dieses gesellschaftliche Phänomen gilt es durchaus ernst zu nehmen und auf intelligente Weise eine Deeskalation zu erreichen.
Aber unabhängig davon, in welcher Intensität solche Diskurse stattfinden: Sie zeigen uns auf, dass da grundsätzlich etwas in die falsche Richtung geht. Die Gleichstellung der Frau darf nicht eine Diskriminierung des Mannes zur Folge haben – weder faktisch noch gefühlsmässig. Und wenn der Mann dies so empfindet, dann läuft hier zumindest in kommunikativer Hinsicht etwas schief.
Ich bin ganz klar eine Verfechterin des integrativen Ansatzes:
Wir müssen weiterhin an jenen Aspekten dran bleiben, die gleichstellungsmässig für uns Frauen noch unbefriedigend sind. Doch wir sollten sie im Austausch mit den Männern anpacken, diese von unseren Gedanken überzeugen und für unsere Anliegen gewinnen können. Wir sollten den Diskurs der Gleichstellung auf der Ebene der Wertschätzung führen – in der Absicht, gemeinsam nachhaltige Lösungen zu entwerfen, und im Wissen darum, voneinander profitieren zu können. Ich bin überzeugt, dass der Gender-Ansatz auf diese Weise nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich gewinnbringend ist.
Hoch lebe also die Frau. Hoch lebe der Mann.
Und: Hoch lebe jede weitere Geschlechtsausprägung.
Die gegenseitige Wertschätzung ist unerlässlich für eine Zukunft, in der die Gleichstellung hoffentlich selbstverständlich sein wird.