Alte vs. neue Welt - wird der Brückenschlag gelingen?
Riyadh vom Kingdom Tower aus gesehen. Links: Blick nach Osten auf eine zeitgenössische Metropole; rechts: Blick nach Westen auf Baugruben für die neue Metro und weitere, noch fulminantere architektonische Bauten.
Natürlich ist mir bewusst, dass wir uns auf dieser Women’s Business-Reise in einem speziellen Rahmen bewegt und dass wir vom Schicksal begünstigte saudische Frauen getroffen haben. Wie eine «normale» saudische Muslima denkt und handelt, die die Mehrheit der saudischen Frauen ausmacht, ist mir auf dieser Reise grösstenteils verborgen geblieben.
Immerhin zu Beginn und ganz am Schluss meines Aufenthalts in Saudi-Arabien, als ich jeweils alleine unterwegs war, bekam ich zu spüren, dass zwischen der angestrebten Vision 2030 und der Realität noch etliche Herausforderungen gemeistert werden müssen. Zwischen konservativ handelnden und zukunftsgerichtet denkenden Saudis, sowohl Männern wie Frauen, gibt es krasse Gegensätze – fast ist man versucht zu sagen: Brüche.
Religiöse Rituale, wie zum Beispiel das fünfmalige Pflichtgebet pro Tag, vertragen sich nur schwer mit der heutigen modernen Arbeitswelt, die auf Geschwindigkeit und Effizienz pocht. Vier der fünf Gebete fallen in die – nach westlichen Standards – reguläre Arbeits- und öffentliche Servicezeit und bringen während mindestens je 20 Minuten jegliche Produktivität zum Stillstand. Ein seit Jahren in Riyadh tätiger Schweizer Geschäftsmann beklagte diese Schwerfälligkeit hinter vorgehaltener Hand, ebenso die säumige Zahlungsmoral resp. das z.T. völlige Ausbleiben von Vergütungen für bezogene Produkte und Dienstleistungen.
Und wie sollen Männer und Frauen im zukünftigen Saudi-Arabien sinnvoll miteinander arbeiten können, solange die Geschlechtertrennung vom Grossteil der Bevölkerung immer noch vehement eingefordert wird?
Folgende Szene habe ich erlebt: Eine alleinreisende junge niqab-bekeidete Muslima weigerte sich im Flugzeug einer saudischen Airline, in derselben Sitzreihe mit einem ihr fremden Mann zu sitzen. Ihrer Forderung gab sie mit imposantem und lautstarkem Gestikulieren Ausdruck. Ein männlicher Flight Attendant schlug ihr eine Lösung vor – offenbar keine, die sie befriedigte. Ihr Ton wurde lauter, die Gestikulation ihrer Hände angespannter, sie erhob drohend ihren Zeigefinger. Der überforderte männliche Flight Attendant wurde durch eine weibliche Vermittlerin ersetzt. Eine zweite stiess dazu, jemand von der Bord-Sicherheit wurde dazu gerufen, schliesslich verhandelte man zu viert mit der aufgebrachten Frau. Ob das nun übertriebene Hysterie oder ehrliche Bedrängnis war – wer vermag das zu beurteilen. Tatsache ist: Die Muslima setzte sich letztendlich durch. Das Flugpersonal hatte das Gespräch mit anderen Fluggästen gesucht, vier unbeteiligte Passagiere wurden umplatziert und die Muslima sass anschliessend in einer Dreierreihe für sich allein, umgeben von Frauen.
Was mich an dieser Szene vor allem erstaunte, war die Hilflosigkeit der saudischen Airline, in der sich das Ganze ereignete – müsste diese doch mit solchen «Alltagsproblemen» umgehen können und raschere Lösungen bereit haben.
Und was mich zweitens erstaunte: Von vollverschleierten Frauen nimmt man spontan an, sie seien scheu und würden sich nicht getrauen zu sprechen, schon gar nicht das Wort an andere Männer zu richten. Hier wurde ich eines Besseren belehrt: Nicht nur äusserte diese Muslima ihre Meinung, sie setzte sie knallhart durch.